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Leseprobe "Endless Life"


Ich holte noch einmal tief Luft, um die aufsteigende, freudige Erregung in mir genießen zu können, bevor ich wieder den knirschenden Kiesweg entlangging. Diesmal lief ich in die entgegengesetzte Richtung als heute Morgen. Dieser Weg führte zum Stadtrand. Der Himmel über mir hatte bereits ein tiefes Tintenblau angenommen, aber der Vollmond stand hoch und beschien den Weg mit ausreichend Licht. Ich ließ die Tüte in meiner rechten Hand rhythmisch hin- und her schwingen, während ich begann, ein Geburtstagslied zu pfeifen.
Es dauerte nicht lange, bis ich aus der Stadt raus war, der Weg schmaler und die Bäume um mich herum dichter wurden. Ich sog die frische Waldluft ein, die so wunderbar nach Regen und Gras duftete. Mein Pfeifen wurde lauter, meine Schritte schneller, aber es war nicht aus Angst. Im Gegensatz zu den meisten Menschen meiner Heimat fühlte ich mich im Wald sicherer als sonst irgendwo auf der Welt.
Noch wenige Schritte und ich war endlich an meinem Ziel angekommen, wenn auch etwas außer Atem. Dass ich den ganzen Weg ein wenig bergauf gegangen war, zeigte sich jetzt: Ich stand vor einem grasbewachsenen Hang, von dem es auf der anderen Seite ziemlich steil nach unten ging. Am Horizont konnte man die nächste Stadt sehen, ihre Lichter glitzerten durch die Dunkelheit zu mir herüber.
An der Klippe saß bereits jemand und ich fragte mich, ob er schon lange dort gewartet hatte. Langsam ging ich auf ihn zu und ließ die Tüte mit den Cheeseburgern auf seinen Schoß fallen. »Alles Gute zum Geburtstag.«
Er wandte sich mir zu und grinste mich an. »Gleichfalls. Du hast ganz schön auf dich warten lassen.«
»Hatte einen kleinen Streit mit meiner Mutter, sorry.« Ich ließ mich neben ihn fallen, die Beine ebenfalls von der Klippe hängend. Wie oft hatte meine Mutter mir schon verboten, hier hochzukommen, weil es viel zu gefährlich war, so nah an der Klippe zu sitzen. Und wie oft hatte ich diese Warnung schon ignoriert und war dennoch hier hinauf gestiegen. Über mein Gesicht huschte ein zufriedenes Lächeln.
»Ein Streit?« Es war eine Frage, aber er klang nicht sonderlich interessiert, also sparte ich mir eine Antwort. Viel lieber drehte ich mich zur Seite und sah ihm dabei zu, wie er den Cheeseburger in sich hineinstopfte. Gefährliche Reißzähne? Naja, seine Schneidezähne erinnerten eher an einen Babyvampir. Gefährliche, gelbe Augen? Ich würde sie eher als karamell-golden bezeichnen.
»Sagst du mir diesmal, wie alt du geworden bist?«
»Verdammte Scheiße, Noé.« Er schob die Kapuze seines schwarzen Pullis vom Kopf und schüttelte die blonden, fast weißen Haare. Sie sahen aus, als wäre er nur knapp einem Staubsauger entkommen. Und das lag nicht an der Kapuze - er sah immer so aus. »Seit zehn Jahren stellst du mir die gleiche Frage, langsam musst du's doch verstanden haben: Dämonen stellt man so eine Frage nicht.«
Ich rückte näher an ihn heran. »Tausend? Zweitausend Jahre? Komm schon, sag was! Du weißt schließlich auch, wie alt ich bin. Ein Tipp, ein kleiner Hinweis, bitte!«
Er brummte nur und biss in den zweiten Burger, bevor er mich vorwurfsvoll ansah. »Auf dem hier sind keine Gurken drauf.«
»Ja, die habe ich gegessen.« Ich packte seinen Arm. »Komm schon, Azriel. Sieh es als mein Geburtstagsgeschenk an. Du musst doch langsam ein schlechtes Gewissen haben, dass ich seit zehn Jahren zu meinem Geburtstag Cheeseburger ertrage, obwohl ich sie gar nicht mag, nur um ein Geschenk für dich zu haben! Du hattest schließlich nie eins für mich. Na, drückt das schlechte Gewissen?«
»Ehrlich gesagt, nein.« Azriel ließ die Papiertüte los und sie flatterte, getrieben vom Wind, von der Klippe herunter, einen kleinen Tanz in der Luft vollführend. »Ich bin hier, das sollte Geschenk genug sein. Vielleicht verrate ich dir mein Alter, wenn ich meinen letzten Atemzug aushauche.« Damit ließ er sich auf den Rücken fallen, in das eigentlich viel zu stachelige Gras, und seufzte zufrieden.
Ich sah verträumt der tanzenden Tüte nach, bis sie aus meinem Blickfeld verschwand, dann sah ich wieder Azriel an. Er hatte die Augen geschlossen, als würde er schlafen. Sein letzter Atemzug? Lächerlich, dieser Typ würde wahrscheinlich noch zwei, drei Generationen nach mir überleben. Aber eigentlich hatte ich auch nicht erwartet, dieses Jahr eine Antwort zu bekommen.
Eine Weile herrschte tiefe Stille zwischen uns. Nicht diese Art von Stille, die man als unangenehm empfindet, es war mehr eine beruhigende Ruhe. Ich lauschte auf die nächtlichen Geräusche des Waldes, das Rauschen der Bäume im Wind und das leise Rufen einer Eule. Langsam spürte ich, wie die Luft sich abkühlte und mir eine sanfte Gänsehaut über die Haut kroch. Ich rieb mir die Arme, bevor mein Blick wieder zu Azriel wanderte.
»Weißt du etwas von anderen Dämonen, die sich hier in der Gegend herumtreiben?«
Er öffnete die Augen nicht, aber ich konnte sehen, wie sich seine Stirn kräuselte. »Woher soll ich wissen, wer hier noch herumlungert?«
»Hätte ja sein können, dass du irgendetwas mitbekommen hast.«
»Hm...warum willst du das wissen?«
»Es wurde schon wieder jemand aus der Stadt verhaftet, weil er mit Dämonen Handel betrieben haben soll.«
Azriel gab ein kurzes, knurrendes Lachen von sich. »Unglaublich, was ihr euch von diesem Geflügel gefallen lasst.« Er schüttelte den Kopf. »Wie viele Jahre wollt ihr euch noch so unterdrücken lassen?«
Ich schob die Unterlippe nach vorn, wie Monja es sonst immer tat. »Du hast leicht reden. Ich kann mich nicht in Luft auflösen, wenn es brenzlig wird, und dann ein paar hundert Jahre später wieder auftauchen, wenn sich die Situation beruhigt hat.«
»Stimmt, da war ja ein Haken.« Azriel lachte wieder und setzte sich auf. »Ist auch nicht so, dass es mich großartig interessieren würde, ist ja schließlich euer Problem und nicht meins.«
»Ich wäre gern ein Dämon. Diese Scheiß-Egal-Haltung kann nur gut sein für die Psyche.«
»Ja, wenn ich ein Mensch wäre, wäre ich auch lieber ein Dämon.« Er streckte sich, gähnte und sah mich dann aus seinen katzenähnlichen Augen gelangweilt an. »Erzählst du mir jetzt, warum du dich mit deiner Mutter gestritten hast?«
Überrascht, dass er noch danach fragte, sah ich ihn an. Einen kurzen Moment dachte ich daran, wie meine Mutter mich angeschrien hatte, dann senkte ich den Blick. »Das übliche Thema. Mein Vater.«
In Azriels goldenen Augen blitzten auf einmal Gefühle auf, die ich an ihm nur selten sah. Es lag tiefer Respekt darin, aber auch eine ganz eigene Art der Trauer. Doch so schnell, wie diese kleine Gefühlsregung gekommen war, hatte Azriel sie auch schon wieder vertrieben und es war wieder nur der sarkastische Zug um seine Mundwinkel zu sehen. »Lass mich raten, du hast mal wieder die Nerven verloren.«
Ich brummte nur abwehrend, auch wenn ich wusste, dass ich ihm damit recht gab. Ich spürte, wie er mich von der Seite ansah und merkte, wie sich ein Frösteln durch meinen Körper bahnte. Schnell rieb ich mir wieder die von Gänsehaut überzogenen, nackten Arme und wünschte mir, dass ich eine Jacke mitgenommen hätte. Oder dass Azriel mir wenigstens seinen Pullover anbieten würde.
»Wenn du nicht noch irgendwo einen Cheeseburger versteckt hast, würde ich mich langsam verabschieden. Überall dieses unsterbliche Gesindel ist mir doch etwas zu heiß.«
Ich zuckte mit den Schultern und grinste. »Cheeseburger nicht, aber ich könnte dir ein paar sehr leckere Cupcakes anbieten, wenn du möchtest!«
Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und erinnerten in diesem Moment an eine Raubkatze auf Beutejagd. »Darauf falle ich ganz sicher nicht noch einmal herein.«
»Auch gut.« Ich stand auf und klopfte mir Staub und Grasreste von den Klamotten. Ein prüfender Blick zeigte mir zu meiner Erleichterung, dass ich keine vor meiner Mutter schwer erklärbaren Grasflecke auf der dunklen Jeans hatte. Noch einmal ließ ich meinen Blick über die wunderschöne Aussicht und die glitzernden Lichtpunkte unter mir schweifen. »Ich muss eh langsam nach Hause, meine Mutter dreht durch, wenn ich zu spät heim komme. Und am Ende kommt sie vielleicht auf die dumme Idee, Monja anzurufen.« Eine Weile war ich unschlüssig, ob ich das, was ich im Moment dachte, wirklich sagen sollte. Ich sah hinunter auf Azriel, der seinen Kopf wieder unter der Kapuze versteckt hatte und jetzt mit gedankenverlorenem Blick aus seinen goldenen Augen in die Ferne starrte.
»Pass ein bisschen auf, dass die Unsterblichen dich hier nicht aufgreifen, ja?«
Er lachte, aber es klang mehr sarkastisch als amüsiert. »Du bist diejenige, die mit einem Dämon abhängt.«
»Ja, ja.« Ich verdrehte die Augen und ging ein paar Schritte auf dem Weg zurück. Als ich mich noch einmal umdrehte, war Azriel bereits verschwunden. Ich seufzte und machte mich auf den Heimweg. Weg von dem Geheimnis, das ich nun seit zehn Jahren hütete.

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3 Kommentare:

  1. Hallo =)

    DIe Leseprobe hat mich absolut überzeugt! Ich bin hier außerdem gleich mal Leserin geworden.

    LG
    Anja

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    1. Das freut mich, liebe Anja :)
      Ich hoffe, dass das Buch dich dann auch überzeugen kann!

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  2. Hallo Anne,

    Das klingt wirklich interessant. Ist gleich mal auf meine Wunschliste gewandert. :-) Das Cover sieht auch ganz toll aus! :-)

    LG,

    Betty

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